Kapitel 2a: 25 Jahre später

Büro des Generaldirektors des Kombinates Industrierobotertechnik, Genosse Egon Wunderlich. Das Kürzel VEB wird seit einigen Jahren nicht mehr durchgehend verwendet. Es wirkt verwirrend, was die Eigentumsverhältnisse betrifft. Es galt bei allen Kunden Vertrauen aufzubauen und nicht sie zu verschrecken. Hinzu kam, dass der Begriff Volkseigentum von seiner praktischen Handhabung nie wirklich richtig erklärt werden konnte.

Wunderlich ist ein korpulenter Mann mit einem vollen Gesicht und kleinen bauernschlauen Augen. Gefährlich wird es, wenn er diese Äuglein zu einem schmalen Spalt werden lässt. Den Platz des Sessels eines GD eines Generaldirektors, den hat sich Wunderlich hart erkämpft. Deshalb lässt er auch keine Luft ran, wenn es um den Erhalt dieses Sessels geht. Wer die Frechheit besitzt, Zweifel an seiner Kompetenz für diesen Posten zu äußern, der lernt sehr schnell und meist auch sehr wirkungsvoll die unangenehme Seite dieses Mannes kennen. Daher gibt es kaum Zweifler.

Es ist ein Montag gegen 10 Uhr vormittags. Das Handy klingelt. Wunderlich geht ran. Hört einige Zeit zu. „Lieber Genosse Minister, wenn du anrufst, da fallen mir doch sofort ein paar Sünden ein. Aber im Moment läuft doch alles wie geschmiert.“
Erschrickt.
„Nein, nein entschuldige. Das war jetzt nicht so gemeint, wie du es eventuell verstanden haben könntest. Es läuft höchst effektiv und alle Kunden sind zufrieden. Oder gibt es etwa Beschwerden?
Zuhören.
„Jetzt kann ich dir nicht folgen.“
Wieder zuhören.
„Noch mal zur Wiederholung. Nur damit ich jetzt nichts falsch verstanden habe. Ich soll mich auf einen Einsatz im Westen vorbereiten, weil es sich abzeichnet, dass dort alsbald das Handtuch geworfen wird. Mal ehrlich, warum ich? Dreht ihr jetzt völlig am Rad. Ja sicher, ich weiß, es sieht schlecht aus im Westen. Diese ewigen Querelen der kleinen Privatfürsten in Wirtschaft und Politik, das unendliche Gelaber um jede kleine Entscheidung in der Politik. Damit haben sie fast jede Säge zum Klemmen gebracht. Dann diese Jahrmarkt Mentalität bei überbezahlten Geschäftsführerposten: Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Bei öffentlich finanzierten Großprojekten werden ein paar abgehalfterte Manager noch schnell mit einer satten Pension versorgt, bevor auch ihre Unfähigkeit nicht mehr verschleiert werden kann.“
Zuhören.
„Genosse, wer soll das Durcheinander entflechten? Dagegen ist der Gordische Knoten doch die Schleife an einem Kinderschuh. Allein die Vernetzung von Finanzwirtschaft mit der Werte schaffenden Wirtschaft, da weiß im Februar doch niemand, wem im März der Konzern gehört. Das Her- und Hinschaukeln der Aktien, da blickt kein Schwein mehr durch.Jeder halbwegs sprachbegabte Primat glaubt mitreden zu müssen. Verwirrt die Bürger immer mehr. Am Ende hören, wenn überhaupt, die einfachen Leute nur die seltsamen Worte. Verstehen weder Sinn, noch Bedeutung. Es scheinen zig Kapitäne auf der Brücke zu stehen und jeder gibt einen anderen Befehl.Lasst diese Titanic doch erst einmal absaufen. Danach sehen wir weiter.“
Zuhören.
„Wow echt, wir haben einige dieser Vermögensverwaltungsfirmen unterwandert? Wie soll ich das jetzt verstehen?“
Zuhören.
„Na da schau her, die haben das gar nicht gemerkt? Man hat einige Manager gegen die Wand laufen lassen, indem man ihre Entscheidungen bisschen schlecht aussehen ließ. Es gab andererseits einige erfolgreiche Transaktionen unserer Leute, die dort eingeschleust wurden. Nun kontrollieren wir fünf der größten Konzerne in diesem untergehenden Privatkapitalismus. Wow, du willst also sagen, die Boni der Investmentmanager können diese alsbald auf der Toilette benutzen. Sie sind kaum noch das Papier wert, auf dem die Scheine gedruckt sind. Virtuelle Zahlen auf einem Kontoauszug? Stimmt, da genügt eine Taste mit dem Namen Delete, und das Konto gibt es nicht mehr.“
Zuhören.
„Natürlich ist es mir schon einige Zeit klar. Es wurde Geld gedruckt und gedruckt und gedruckt, bis die Farbe ausging. Das konnte nicht gut gehen.“
Zuhören.
„Wir haben ihnen ihren Konsumkrempel abgekauft. Dafür unsere guten Lebensmittel und hochwertige Automatisierungstechnik verkauft. Anderenfalls hätte es dort schon vor einiger Zeit böse geknirscht.“
Zuhören.
„Ja, dahinter steht eine Strategie. Wir wollen dort kein Chaos und keine Anarchie. Die Broker an den Börsen sollen nicht bemerken, dass ihre Börse doch kaum noch mehr als eine Lotteriebude ist. Sie handeln mit Zitronen und glauben, es wären Aktien. Man könnte also einen satten Börsencrash initiieren. Das wäre aber nicht gut. Schließlich kauften wir einige ihrer wichtigsten Unternehmen klammheimlich auf. Wie heißt das in ihrem Jargon: Feindliche Übernahme! Dadurch könnte uns so ein unkontrollierter Crash schaden. Muss doch nicht sein.
Zuhören.
„Ja, ja, wir haben ihnen ein paar faule Eier ins Nest gelegt. Stimmt. Da waren diese nicht so richtig funktionsfähigen 128 Bit Bussysteme. Ich weiß, das ist offiziell nie geschehen. Trotzdem, als Untergangbeschleuniger haben die kleinen Dinger ganz gut gewirkt. Da ist sogar einmal das gesamte Steuersystem der Bundesbahn ausgefallen. Alle Räder standen still, weil unser Chip das so will.“
Lachen und erneutes Zuhören.
„Natürlich ist mir das bewusst. Es gibt dort einen Riesenmarkt. Nur steht zwischen diesem Markt und dessen Nutzung die Kaufkraft. Ein Markt, der nicht bezahlen kann, was wollen wir damit?
Zuhören.
„Langfristig denken? Einverstanden denken wir langfristig. Dann sei bitte so gut und erkläre mir diese langfristige Denkstrategie.“
Zuhören.
„Wie bitte, diese Strategie ist so geheim, dass sie bereits vor dem Lesen verbrannt werden muss. So, so, dann müssen jetzt also die Hacken zusammen geschlagen und wie in alten Zeiten den Befehl bestätigt? Gut, du meldest dich wieder in Kürze. Muss ich mit dem Schlimmsten rechnen?
Zuhören.
„Was das Schlimmste für mich wäre? Keine Ahnung, aber es klingt nicht gut. Also dann, ich erwarte das Schlimmste. Bis bald!“

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